La poubelle cuisine

Casa d'Italia: Slow Food

Trotz Vorweihnachtszeit waren noch zahlreiche Tische frei, die vorgängige Reservation wäre nicht nötig gewesen. Nach diversen Räuspern und Hustenanfällen beim Eingang gelang es uns schliesslich, den Chef de Service aus seinem Winter­schlaf zu wecken, und erhielten einen Tisch im hinteren Teil des Restaurants zugewie­sen. Dass ich auf dem Gang dorthin über diverse Skelette stolperte, nahm ich als ungutes Omen.

Der Kellner, der für diesen entlegenen Teil des Lokals wie für einen etwas weiter vorne liegenden zuständig war, ein schon etwas betagter Herr mit tadelloser Fliege auf der Halbglatze, schien schon seit längerem auf einen Termin beim Optiker zu warten. Schliesslich gelang es uns aber doch noch, seine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, und er brachte uns, mit dem linken Fuss nebenbei die Skelette unter den Tisch schiebend, Speisekarte und Pfeffermühle, und nahm unsere Bestellung für Getränke auf.

Diese kamen erstaunlich schnell. Zu schnell, denn wir waren noch in das Studium der Karte vertieft. Der Kellner nahm an, dass wir unsere Wahl noch nicht vollständig getroffen hatten, verschwand und löschte uns aus seinem Kurzzeitgedächnis.

Endlich, nach zwei Stunden, kam er wieder auf unseren Tisch zugesteuert, und wir frohlockten bereits, nun endlich bestellen zu können. Das war aber ein Irrtum: Sein glasiger Blick war stramm auf die
Pfeffermühle gerichtet, die nutzlos auf unserem Tisch stand. Mit bewunderns­werter Zielstrebigkeit schnappte er sie sich und schwirrte wieder ab, unsere erhobenen Hände und knurrenden Mägen ignorierend. Beruhigend war nur, dass es offensichtlich auch anderen Gästen in unserem Raum so erging: Das Ehepaar rechterhand sah ziemlich eingefallen aus und hatte bereits Staub auf den Schultern angesetzt, und die grössere Gesellschaft in der gegenüber­liegenden Ecke verstummte zunehmend. Erst als alle Speisekarten verteilt waren und weitere Gäste auf Karten warteten, bemerkte er die auf unserem Tisch liegenden. Als er sie ergreifen wollte, um sie an einen anderen Tisch zu bringen, gelang es uns noch gerade rechtzeitig, sie wieder aufzuschlagen und sie erst wieder herzu­geben, als er, sichtlich erstaunt ob unserer Anwesenheit und etwas unwillig, unsere Bestellung aufgenommen hatte. Erschöpft sahen wir ihn von hinnen ziehen und stellten fest, dass es uns noch gut ging: Das Ehepaar rechterhand war unterdessen von den Stühlen gekippt, als der Kellner mit Tunnelblick an ihm vorbeischlurfte.

Die Vorstellung, dass nun der Pizzaiolo in der Küche sich mit Verve hinter unsere Pizza Napoli und Rustica machen würde, erwärmte unsere Herzen und beruhigte unsere Mägen, bis rund zwei Tage später unser Kellner wieder zu unserem Tisch kam, allerdings mit leeren Händen. Was für Pizzen wir bestellt hätten, wollte er wissen, es sei ihm auf dem Weg in die Küche leider entfallen. Er notierte sich unsere Bestellung erneut und zog mit einer verhältnismässig energischen Kehrtwende wieder Richtung Küche ab. Zum Glück hatte er dabei die Fliege verloren, sie bewahrte uns vor dem schlimmsten.

Kurz darauf begann es zu duften, gerade noch rechtzeitig, weil auch das Ehepaar unter dem Tisch hervor nicht mehr so frisch roch, und unser Lebensretter, der Pizzaiolo, brachte tatsächlich zwei Pizzen an unseren Tisch. Leider hatte sich die Pizza Napoli auf dem Weg in die Küche in eine Pizza Frutti di Mare verwandelt, die in etwa das Aussehen zwischen einem Liebesnest und einer Müllhalde hatte, also mindestens zur Hälfte schon irgendwie neapolitanisch, aber doch nicht so appetitlich, als dass wir darauf verzichtet hätten, unser Bedürfnis nach einem echten Exemplar der Gattung zu wiederholen. Damit mussten wir natürlich noch einmal Wartezeit und den zunehmend strengeren Geruch des Ehepaars auf uns nehmen.

Schliesslich waren die Pizzen dann endlich da, sogar noch warm, daher zogen wir es vor, sie trotz dem unterdessen desolaten Zustand unserer Zähne unpüriert zu verzehren. Auf einen Nachtisch verzichteten wir nach diesen Erfahrungen. Einen solchen zu bestellen wäre sinnlos gewesen, da er mit hoher Wahrscheinlichkeit unterwegs von der Küche an unseren Tisch bereits von Mikrobenstämmen verzehrt worden wäre. Wir sahen zu, dass wir unseren Kellner, er hatte unterdessen eine Vollglatze und einen Rollstuhl, doch noch mal an unseren Tisch kriegten, um die Rechnung vor dem Verfall der Kreditkarte begleichen zu können, packten unsere Zähne ein und suchten das Weite.
15.12.2010

>kater
>bilder
>home >archiv