Ein Kater namens Sidi Brahim

Olfaktotum

Zuhause pflegen wir legere Anstandsregeln. Minenarbeit am Riechorgan ist beim Zeitungslesen ebenso erlaubt wie während Mahlzeiten deren Retournierung zu thematisieren. Und wenn einer ein Gasleck hat, wünschen wir ihm einfach Gesundheit. Auch pflegen wir mit Herrn Ammann, dem Leiter der Abwasserreinigungsanlage gegenüber von unserem Haus gute fernfreundschaftliche Beziehungen, schicken ihm gelegentlich ein Fax oder ein Fress­päckchen in die Annahmestelle Biomasse, erscheinen aber nie an das von ihm organisierte jährliche ARA-Wurstessen, aus Gründen, die ich hier nicht näher erläutern möchte. Ich weiss, der legere Umgang mit diesen Themen würde eine gesamtfamiliäre Psychoanallyse nahelegen, damit wir diesbezüglich wieder zur hierzulande üblichen, gesellschaftsfähigen Durch­schnitts­verkrampfung mit Begleitsymptomen wie Verstopfung, Magengeschwüren und regem Kirchgang zurückkehren würden statt der freien Flatulenz zu frönen. Das kann dann schon mal dazu führen, dass man die in der Öffentlichkeit geltenden Anstandsregeln versehentlich vergisst. So wie man vergisst, nach einer Sitzung mit anschliessendem Protokoll ein Zündhölzchen anzuzünden, damit der Nachsitzende wieder frische Luft hat.

So entwich mir neulich im Bus wieder mal ein Analhusten, dessen Lautstärke leider offen­hörlich nicht zu den Motorengeräuschen des gasbetriebenen Bernmobil-Busses gehörte. Offenduftig musste auch der Hund meines Gegenübers unschuldig sein. Normalerweise
pflege ich in solchen Situationen folgende Strategie erfolgreich anzuwenden: Ich blicke augenblicklich meinen Sitznachbarn böse an, der vom unerwarteten Geräusch überrascht zu keiner anderen Reaktion fähig ist, als erschreckt dreinzuschauen und sofort auch die Blicke aller anderen Businsassen auf sich zu ziehen. Nach der nächsten Haltestelle ist üblicherweise der Platz neben mir frei.

Das ging leider diesmal nicht. Neben mir sass ein junger Eritreer, und die übrigen Sitzplätze waren mit Glatzköpfen belegt. Ich hätte mich der Anstiftung zu einem Pogrom schuldig gemacht. Was tun? Den Hut zu ziehen und verkehrtherum allen umsitzenden Passagieren hinzuhalten, wäre wohl nicht angebracht gewesen. Auch fürchtete ich, dass statt Münzen Kaugummis, Robidogsäckchen, Molotow-Coctails und dergleichen parasoziale Gaben reingeworfen würden, wofür ich ja volles Verständnis hätte haben müssen, aber mein Hut war mir einfach zu schade.

Zum Glück war aber unterdessen der Hund meines Gegenübers ohnmächtig geworden und zur Seite gerollt, wobei die Hakenkreuz­tätowierung rund um dessen Darmausgang sichtbar wurde, was dazu führte, dass sofort einige Tierschützer und die Glatzköpfe, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, eine Protestgemeinschaft gegen den Hundehalter bildeten, der sich mit dem Argument zu wehren versuchte, das müsse beim Tierarzt während der Entwurmung passiert sein. Damit richtete sich die allgemeine Empörung wiederum gegen ein neues, zum Glück nicht anwesendes Ziel, den Tierarzt (bei einigen Glatzköpfen auch die Würmer), allerdings nicht für lange, da ein Zeuge Jehovas mit Märtyrersyndrom sich genötigt sah, den
Streithähnen die Ankunft irgendeines spirituellen Führers anzukündigen und sie daher aufzufordern, doch bitte friedlich miteinander umzugehen, aber mit dieser Ankündigung bei den Glatzköpfigen das Gegenteil bewirkte, die mit hochgereck­ten rechten Händen diesen Führer begrüssen wollten, während die linken, nun ja... Um dieser ungesunden kollektiven Psychohygiene etwas den Schwung zu nehmen, liess ich die Bemerkung fallen, dass das Phänomen an der Hintertür des Hundes für mich als veterinär­medizinischen Laienpriester eher wie Hämor­rhoiden aussehen würden, aber dass ich zugegebenermassen Schwierigkeiten hätte, Geschlechtskrankheiten von nationalsozialis­tischen Insignien zu unterscheiden. Unter Hinterlassung einer weiteren Portion Zyklon B verliess ich schleunigst den Bus.

Am nächsten Tag konnte ich in der Zeitung lesen, dass offensichtlich ein Bus der Linie 21 an der Endstation am Bahnhof explodiert sei, aufgrund eines Lecks im Gastank, wie die Polizei vermutet. Anschliessend habe es eine Massenschlägerei gegeben, nach welcher die, die sich zuvor gegenseitig verprügelt hatten, gemeinsam zur Nationalbank gepilgert seien, Farbbeutel geworfen und Parolen gegen das Frauenschwimmrecht skandiert hätten. Zum Glück seien keine Opfer zu beklagen, nur ein brauner Hund habe eine Verbrennung zweiten Grades am Hinterteil erfahren. Er sei zurzeit im Tierspital in psychoanaljüdischer Behandlung.

I ha nes Zündhölzli azündt …
Stinkmorchel

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