Ein Kater namens Sidi Brahim

Ich habe noch einen Berliner im Koffer

Zürich-Berlin für 69.85 Franken, das ist ja OK, aber jetzt soll ich neben allen sonstigen Zuschlägen (Kerosinzuschlag, Sitzplatz­zuschlag, Kreditkarten­strafgebühr, Absturz­versicherung, Terroristen­arbeits­losen­versicherungs­beitrag und Sauerstoff­pauschale) neu auch noch eine Vertriebs­kosten­pauschale von 30 Franken obendrauf blättern, nur weil das blöde Internet gemerkt hat, dass mein Computer in der Schweiz steht? In Deutschland gibt es diesen Zuschlag nicht. Aber nicht mit mir! Ich bin ja nicht blöd! Mit dem Super-Sparpreis komme ich ja problemlos für 19 Euro, sprich 21.28 Franken nach Freiburg im Breisgau und zurück, und zwar ohne Idiotenzuschlag. Und der Flug soll ja erst übernächste Woche gehen.

Also flugs, beziehungsweise zugs ein Super­mega­geilosparpreisticket nach Freiburg kaufen. Die günstigste Verbindung geht grad heute Nacht, übermorgen früh geht es zurück, das reicht dann auch noch zum Einkaufen. Frühverbindungen haben den Vorteil, dass sie wegen der Pendlerströme manchmal verspätet sind. Vielleicht schaut ja noch ein Sorry-Bon heraus?

Pünktlich um 23 Uhr stehe ich auf Bahnsteig 9 ¾ und warte auf meinen Zug. Da kommt er. Eine schnittige Lokomotive, aber dahinter – nichts als Güterwagen. Scheisse. Ich muss eine Verbindung für Güterverkehr erwischt haben, daher der günstige Preis. Wegen der Zugsbindung bleibt mir nichts anderes übrig, als einen unverschlossenen Güterwagen zu suchen, hineinzuschlüpfen und es mir - Ironie des Schicksals - zwischen Jumbo-Packungen von marmeladegefüllten Berlinern gemütlich zu machen. Geht so, auch wenn meine Bindung zu diesem Zug nicht gerade als euphorisch zu bezeichnen ist. Immerhin sind die Dinger weich zum draufliegen.

Ruckelnd geht es los. Bald gewinnen wir Fahrt. Etwas zugig ist es hier – ich reisse eine Jumbo-Packung auf und versuche mich mit der Hülle warm zu halten. Gerade als ich einnicke, wird die Wagontür aufgerissen und eine Taschenlampe leuchtet mir in die Augen.
„Fahrkarten bitte!“ Ächzend richte ich mich auf und kram mein Supersparpreisticket aus der Tasche. „In Ordnung“, sagt der Schaffner, „und die Schlafwagenreservation, darf ich die auch noch sehen?“ Schlafwagen? Ich träume wohl. Nach längeren Diskussionen mit dem Schaffner konnte ich ihn überzeugen, dass der Komfort des Reisemittels diesen Zuschlag nicht wirklich rechtfertigt. Eine kleine Gebühr für die Berlinerverpackung muss ich trotzdem entrichten.

Endlich schlafe ich tief und fest. Als ich erwache, scheinen Sonnenstrahlen durch die Ritzen der Holzwand. Frühstück hat es ja zum Glück reichlich. Der Zug hält. „Hamburg Hauptbahnhof“ höre ich von Ferne eine Durchsage. Hmm, ich muss mich wohl verschlafen haben. Schnell husche ich aus dem Wagen und suche mir einen anderen Güterzug. Da: Eine Lieferung Spar­schwein­chen mit Schweizerkreuz, made in Hongkong, nach Frankfurt am Main! Schnell hinein, ohne dass mich einer sieht. Zum Liegen sind die Sparschweinchen zwar nicht sehr bequem, aber drauf reiten kann man ganz gut. Nur dass ich jetzt mal müsste… Ein etwas schlechtes Gewissen habe ich, wenn ich an den Bankangestellten denken muss, der ausgerechnet das Schweinchen auspacken muss. Welches, das bleibt mein Bank­geheimnis. Ohne weitere Zwischenfälle und Fahrausweiskontrolle komme ich spätabends in Frankfurt an und erwische noch gerade den Findus-Kühlwagen nach Basel und hoffe, dass der in Freiburg halten muss zum Rangieren oder so.

3 Uhr nachts. Nach meiner Rechnung sind wir jetzt in Offenburg. Freiburg kommt in einer Stunde – und der Zug hat noch kein einziges Mal gehalten. Wenn das mal klappt! WLAN hat es in diesem blöden Kühlwagen natürlich auch nicht, sonst könnte ich während der langweiligen Fahrt zwischen tiefgefrorenen Hackfleischscheiben und Fischstäbchen ja schon wenigstens mal meinen Flug nach Berlin buchen. Eineinhalb Stunden später rauschen Lichter vorbei, ohne dass der Zug verlangsamt – das muss Freiburg sein. In meiner Verzweiflung murkse ich die Wagontür auf, hangle mich James-Bond mässig mit einer Hand haltend aus der Tür und werfe mit der anderen Hand gefrorene Fischstäbchen auf die Geleise, bis es Funken sprüht, sich die
Räder verklemmen und der Zug langsam abbremst. Schon steht er still und ein fluchender Zugführer stapft mit der Taschenlampe den Zug entlang. Den Moment, als er auf einer Pizza Margherita ausrutscht, der Länge nach hinfällt und mit beiden Ohren in der Esellasagne landet, nutze ich, um aus den Wagen zu huschen und mich zurück zum Bahnhof aufzumachen.

Eine Stunde später kommt endlich im Morgengrauen der Hauptbahnhof Freiburg in Sicht. War auch höchste Zeit. Mein Rückfahrzug fährt bereits in einer Stunde. Links neben dem Bahnhof macht gerade Aldi auf. Noch während das Personal die Berliner in die Regale einräumt, buche ich mein Flugticket im kostenlosen Bahnhof-WLAN, und zwar OHNE Vertriebskostenpauschale , schnappe mir 10 Kilo Butter und 10 Kilo Rindfleisch, zahle und stecke die Ware zu den fünf Päckchen Fischstäbchen, die schon im Rucksack sind. Mein Zug steht schon abfahrbereit auf dem Gleis.

Diesmal geht alles gut. Der Zug fährt in die richtige Richtung, zurück nach Zürich, und hat auch die erhoffte Verspätung. Zusammen mit dem Sorry-Bon von 5 Franken, die Ersparnis von 54.45 Franken, welche Butter und Fleisch in der Schweiz teurer gewesen wären und die 8.72 Franken, die der Supersparpreis gegenüber der Vertriebs­kosten­pauschale günstiger war, kommt ein nettes Sümmchen zusammen, nämlich 68.17 Franken, abzüglich die 2 Euro für die Berlinerverpackung. Die Fischstäbchen sind leider wegen der Verspätung nicht mehr so frisch, ich werde sie wohl nicht mehr bei eBay einstellen können – ihres einladenden Duftes wegen habe ich aber immerhin ein Sitzabteil für mich. Und ich kann sie abfallgebührenfrei im Hauptbahnhof Zürich im Mülleimer vor dem Sprüngli entsorgen. Der Flug nach Berlin kostet mich unter dem Strich noch schlappe Fr. 3.39 - weniger als ein Kaffee im Migros-Restaurant. Das kostet nämlich unverschämte dreifuffzig. Und gratis dazu gibt’s den Berliner, der zuunterst im Rucksack zum Vorschein kommt.
Rabat Al-Dilidl

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