Ein Kater namens Sidi Brahim

Ab- und Zustimmungssonntag

Meier: Guten Tag Herr Müller. Darf ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihrem Unternehmen stellen?

Müller: Ja, selbstverständlich.

Meier: Sie betreiben seit einigen Jahren ein erfolgreiches Umfrageinstitut. Wie kommt es, dass Sie sich in diesem heiss umstrittenen Markt so gut behaupten können?

Müller: Das liegt an der hohen Zuverlässigkeit unserer Prognosen. Wir haben über Jahre hinweg eine konstante Trefferquote von 100% gehabt. Erst dieses Jahr hatten wir mal Pech und haben danebengegriffen.

Meier: Wie kam es zu dieser Fehlprognose?

Müller: Ein unerwarteter Meinungswechsel in unserer Stichprobe war schuld daran.

Meier: Dass sie mit Ihrer Meinung 50% danebenlagen? Sie prognostizierten für die Abstimmung über die «Initiative zum Verbot der Abschaffung des Referendums in der direkten Demokratie» einen Anteil von 100% Ja-Stimmen. Tatsächlich lag der Anteil von Ja-Stimmen in Ihrer Stichprobe dann nur bei 50%. Das ist doch eine krasse Fehleinschätzung.

Müller: Das kann jedem mal passieren, besonders, wenn Hinz und Kunz mitreden können. Herr Hinz ist ja bis heute ein äusserst zuverlässiger Bestandteil unserer Stichprobe gewesen. Warum Herr Kunz sich zu einem Meinungsumschwung hinreissen liess, darüber wollen wir hier nicht mutmassen. An der Besoldung kann es nicht gelegen haben, wir zahlen unsere Mitarbeiter besser als der Branchendurchschnitt, wie eine letzthin durchgeführte Umfrage zeigte. Was man auch an der bis anhin deutlich besseren Trefferquote ablesen kann im Vergleich mit unseren Konkurrenten. Ich vermute, dass ein Abwerbungsversuch eines Konkurrenten dahintersteckt.

Meier: Wie geht es nun weiter?

Müller: Wir haben organisatorische Massnahmen ergriffen, um die Qualität der Umfrageergebnisse zu stabilisieren.

Meier: Das heisst?

Müller: Um die Situation zu beruhigen, haben wir uns per sofort im gegenseitigen Einvernehmen von Herrn Kunz getrennt. Wir

haben damit die Repräsentativität unserer Stichprobe massiv verbessern können.

Meier: Und führen nun die Umfragen mit Herrn Hinz allein weiterhin durch?

Müller: Klar. Wie bereits erwähnt, ist Herr Hinz ein äusserst zuverlässiger Mitarbeiter, dessen Meinung wir sehr schätzen. Und er repräsentiert, ja er überrepräsentiert geradezu den Durchschnitt, dessen Meinung ja so gefragt ist. Und durch die reduzierten Lohnkosten auf unserer Seite sind wir auch in der Lage, die Treue unseres Mitarbeiters entsprechend zu honorieren.

Meier: Seine Meinung zu kaufen, wollen Sie wohl sagen.

Müller: Aber ich bitte Sie! Ich kann nur noch mal betonen, dass Herr Hinz seine Meinung völlig unabhängig bilden kann, ja soll. Das ist geradezu sein Auftrag. Wichtig ist uns nur, dass er bei seiner Meinung bleibt, damit das Ergebnis stimmt. Wir zweifeln nicht daran, dass unser Modell langfristig Erfolg garantiert.

Meier: Er darf sich also nicht durch Fakten verunsichern lassen und seine Meinung revidieren?

Müller: Das muss man positiv formulieren: Wir investieren sozusagen in eine Versicherung gegen einen Meinungsumschwung. Meinungsumschwünge sind der GAU in unserem Geschäft, und als vorausschauendes Unternehmen legen wir Wert auf langfristige und nachhaltige Geschäftsbeziehungen. Unser bisheriger Erfolg gibt uns recht.

Meier: Bis auf das Debakel mit Herrn Kunz.

Müller: Nennen wir es einen Ausreisser. Auch bei hochsignifikanten Ergebnissen gibt es immer eine Restwahrscheinlichkeit für einen Irrtum. Ansonsten müsste man ja nach einer Umfrage gar keine Abstimmung mehr stattfinden lassen.

Meier: Das wäre doch eigentlich noch besser. Abstimmungen fressen ja Unsummen an Steuergeldern, dabei ist die Meinung in den meisten Fällen ja eh schon gemacht.

Müller: Sie sprechen mir aus dem Herzen. Tatsächlich ist die gesamte Demokratie mit all den Abstimmungen, Wahlen und PiPaPo eine riesige Geldvernichtungsmaschine. Besser wäre es, die öffentlichen Gelder, die dafür eingesetzt werden - nur Bruchteile davon wären tatsächlich notwendig, aber wir sind offen für alles - in die Arbeit von Profis zu investieren, sprich Institute wie unseres …

Meier: … oder meines …

Müller: … zu befragen, statt sich auf die labilen Meinungen von Amateuren zu verlassen und gar den Lauf der Dinge durch diese bestimmen zu lassen.

Meier: Ganz Ihrer Meinung!

Müller: Der Aufwand wäre wesentlich geringer. Herrn Hinz haben Sie schnell gefragt, aber 8 Millionen Schweizer zu befragen …

Meier: … ist ein Unding …

Müller: … und ein riesiger Aufwand. Die eine Hälfte äussert seine Meinung eh nie und die andere Hälfte ist gar nicht stimmberechtigt, weil sie zu jung, zu alt oder zu fremdsprachig ist. Wen tut man da überhaupt noch befragen? Ich wundere mich manchmal, woher die 2-3 Millionen Stimmen überhaupt herkommen. Ein gigantischer Betrug am Steuerzahler, wenn Sie mich befragen. Da repräsentieren wir mit unserem Herrn Hinz ja geradezu die goldene Mitte zwischen diesen beiden stimmlosen Hälften. Dieses Erfolgsmodell muss man uns erst mal nachmachen. Aber leider schläft die Konkurrenz nicht. Wir sind gut, und die Konkurrenz hat das gemerkt und versucht uns zu imitieren.

Meier: Was meinen Sie, warum ich Sie befrage?

Müller: Aber an das Original kommt man eben nicht so schnell heran.

Meier: Noch eine letzte Frage: wie sieht ihre Prognose zur Abstimmung über die von der Volkspartei lancierte Volksinitiative für ein Umfrageverbot aus?

Müller: Laut eindeutigen Ergebnissen einer von uns mit beträchtlichem Mittelaufwand durchgeführten Umfrage gibt es diese Initiative gar nicht. Wir rechnen daher mit einer Ablehnung.

Meier: Und sollte sie doch angenommen werden?

Müller: Dann werden wir die Konsequenzen daraus ziehen und uns von unserer Stichprobe trennen.

Meier: Und wer bildet danach Ihre Meinung?

Müller: Für diesen Fall haben wir noch einen Hamster im Keller.
Das Alphatier

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