Ein Kater namens Sidi Brahim

Der Omatrick

Vielleicht hast du auch schon mal einen Telefonanruf erhalten, der so anfängt: „Hallo…, rate mal wer am Apparat ist?“ Dann hast du angefangen nachzudenken und den Namen eines entfernten Bekannten genannt. Klar war es der, obwohl du seine Stimme nicht erkannt hattest. Kein Wunder, er hatte ja auch Schnupfen und vom Handy aus angerufen. Und natürlich wollte er dringend Geld, noch heute. Diese Masche ist weidlich bekannt unter dem Enkeltrick. Deutlich weniger bekannt als der Enkeltrick, aber für Enkel mindestens ebenso gefährlich wie letzterer für einsame Omas, ist der Omatrick.

Telefon klingelt.

Oma: Ja, hier Frieda Smüde am Apparat?
Enkel: Hallo Frida, wie geht’s dir denn?
O: Gut. Aber wer ist denn am Apparat?
E: Hör mal Frieda, erzähl mir nicht, dass du mich nicht erkennst!
O: Nee, ich kenne die Stimme nicht?
E: Na dann rate doch mal!
O: Bist du der Gert?
E: Na klar! Wie geht’s dir denn nun so?
O: Ach der Gert. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Wann kommst du denn mal wieder zu Besuch? Das war ja wirklich eine tolle Zeit zusammen, damals an der Ostsee!
E: Ja, das war wirklich toll da.
O: Ja, das Usedom ist wirklich hübsch.
E: Ja, wirklich hübsch. Mir hat‘s da ja auch wirklich gut gefallen.
O: Oder lag das an der Nordsee und gar nicht an der Ostsee? Das Usedom?
E: Ähm, ja. Nein, ja, das lag ja wirklich an der Nordsee. Hast du vorher Ostsee gesagt?
O: Ja. Nur blöd, was da mit deinem Fuss passiert ist. Wie geht es dem denn jetzt?
E: Gut, alles wieder paletti.
O: Alles paletti? Das gibt’s doch nicht. Konnten die Ärzte das flicken?
E: Ja klar, die haben das prima hingekriegt.
O: Kaum zu glauben. Aber der war doch ganz abgebissen gewesen von dem Haifisch. Wie hast du den Fuss überhaupt von dem Haifisch zurückgekriegt?
E: Aber Frieda, das habe ich dir doch im Spital schon erzählt, weisst du das nicht mehr?
O: Nee, da kann ich mich leider nicht mehr daran erinnern. Hast du den Hai höflich darum gebeten? Oder hat ein Fischer den Hai gefangen?
E: Ach Frieda, dass du dich nicht mehr erinnerst, ich erzähl dir das ein andermal genauer. Aber hör mal, ich…
O: Ja weisst du, ich war ja so durcheinander und musste dich ja im Spital alleine lassen, wegen meinem Sohn und hatte keine Zeit mehr mich um dich zu kümmern. Das tut mir leid, aber mein Sohn, das ging dann halt vor.
E: Was war schon wieder mit deinem Sohn?
O: Ja weisst du das nicht mehr? Ich hab doch damals als ich neben dir im Spital gesessen habe, einen Anruf von der Polizei gekriegt, dass mein Sohn Selbstmord gemacht habe.

E: Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich war halt wegen dem Fuss auch sehr durcheinander.
O: Ja, der arme Gert…
E: Brauchst kein Mitleid mit mir haben, der Fuss ist ja wieder in Ordnung.
O: Ich meine ja nicht dich, sondern Gert, meinen Sohn.
E: Ach, deinen Sohn…
O: Ja, sag nicht, dass du nicht mehr weisst, dass der gleich heisst wie du. Sowas vergisst man doch nicht, Günther!
E: Gert, nicht Günther!
O: Ja, Gert, sowas vergisst man doch nicht, wenn man gleich heisst wie mein Sohn, und der macht Selbstmord.
E: Tut mir leid, das war mir wirklich grade entfallen, aber hör mal…
O: Ja, das war wirklich eine tragische Sache. Weisst du noch, wo die Polizei den Günther gefunden hat?
E: Den Günther?
O: Ja, meinen Sohn. Weisst du wo sie den gefunden hat?
E: Nein
O: Der hat sich im Vivarium zu Kassel nachts einschliessen lassen und dann seine Füsse ins Piranha-Becken hängen lassen. Nachdem die Piranhas seine Füsse abgefressen haben, ist er elend verblutet. Ich musste ja dann gleich nach Kassel abreisen wegen der Inspiration von meinem Sohn. Ach, war das ein grausames Bild.
E: Du meinst wohl, wegen der Identifikation?
O: Identifikation? Ja meinst du, ich kenne meinen Sohn nicht mehr? Hältst du mich etwa für schusselig?
E: Nein, ich meine nur, wenn man einen Toten hat, dann muss ein Verwandter bestätigen, dass es der und der ist. Dem sagt man Identifikation.
O: Natürlich kenn ich meinen Gottlieb! Nein, ich musste natürlich dringend zu seiner Vernissage anreisen. Zu blöd, hat er mir das erst so knapp vorher gesagt.
E: Jetzt verstehe ich Bahnhof. Meinst du die Bestattung?
O: Na hör mal! Eine Vernissage ist doch wohl hoffentlich keine Bestattung! Nein, das war doch so eine Performance mit den Piranhas an der Documenta in Kassel. Aber er hatte vergessen, mich zur Vernissage einzuladen und hat mir das im letzten Moment noch am Telefon gesagt, auf seine Art eben. Aber ich wollte doch das unbedingt sehen. Ist ja mein Sohn, der Gert. Das war wirklich eine tolle Idee, das mit den Piranhas. Sah ja so echt aus. Er ist ja wirklich ein Künstler und hat eine einzigartige Inspiration. So ein Zufall, hatte seine Performance auch mit Füssen zu tun… Weisst du, was er damit eigentlich sagen wollte?
E: Nein, aber hör mal Frieda, was ich eigentlich wollte…
O: Er wollte damit sagen… naja, ich weiss auch nicht mehr, irgend so ein Käse halt. Aber toll ausgesehen hat es. War es eigentlich der linke oder der rechte?
E: Was?
O: Fuss
E: Der rechte.

O: Dann verstehe ich aber deinen Witz nicht, den du damals im Spital gemacht hast.
E: Welchen Witz?
O: Na, dass du nun noch schneller fahren musst auf der Autobahn, weil du das Bremspedal nicht mehr bedienen kannst.
E: Ja, weisst du, ich war ja lange in England. Hab das wohl verwechselt.
O: Ach ja? Wo denn?
E: Birmingham. Aber hör mal Frieda, ich…
O: Ja, ich weiss, du brauchst Geld. 25 Tausend, und zwar noch heute, gell?
E: Aber… woher weisst du das jetzt?
O: Das war doch schon in Usedom so. Da wolltest du dir ja auf der Stelle den Jaguar kaufen, in den du dich auf dem Parkplatz vor dem Hotel verliebt hattest.
E: Ach das…
O: Wegen dem Fuss ist der Kauf ja dann hinfällig geworden. Diesmal klappt’s aber? Dann scheint es deinem Fuss ja wirklich wieder gut zu gehen.
E: Ja, nein, ich meine nicht wegen einem Jaguar. Oder eigentlich doch. Weisst du, das ist mir jetzt aber ein bisschen peinlich, dass du mich so durchschaut hast. Weisst du, das ist halt eine einmalige Chance, morgen ist der weg, und zu dem Preis kriege ich so einen nie wieder. Und von meiner Bank kriege ich das Geld erst übermorgen.
O: Warum denn? Hast du denn keine Pistole?
E: Wie bitte?
O: Ob du keine Pistole hast? Wenn du immer so dringend ans Geld musst, weisst du denn nicht, wie man das macht, Günther?
E: Gert! Nicht Günther!
O: Ach ja, Gottlieb. Weisst du, du bist ja nicht der erste, der mich anruft wegen einem Sportwagen, den er noch heute kaufen muss. Und weil das immer so eilt mit dem Geld und ich ja gar nix mehr auf meinem Konto habe, gehe ich immer mit einem alten Stützstrumpf über dem Kopf und der Pistole abheben. Das funktioniert tipptopp. Musst du auch mal ausprobieren.
E: Aber Frieda, so hatte ich das eigentlich nicht gemeint. Hast du denn gar nichts mehr auf der hohen Kante, an das du legal rankommst?
O: Nee, tut mir leid. Aber ich kann dir meinen Stützstrumpf und meine Pistole ausleihen. Dann darfst du gerne für mich auf die Bank. Ich muss leider noch in die Lesegruppe in einer halben Stunde. Komm doch einfach vorher vorbei.
E: Also, Frieda, ich glaub ich schau lieber, ob ich das Geld anderswo her kriege…
O: Habe ich dich jetzt auf dem falschen Fuss erwischt oder kriegst du jetzt kalte Füsse? Da kann ich dir was empfehlen: Kneippen! Aber vielleicht geht das ja nicht mit deinem geflickten Fuss. Vielleicht ist das auch sonst einfach nichts für dich, du wolltest ja schon an der Nordsee nie so recht ins kalte Wasser, und das eine Mal hat’s dich grad erwischt, gell Gert! … Gert? … Günther? … Bist du noch da? Und sowas will ein Sportwagenfahrer sein!


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