Ein Kater namens Sidi Brahim

Soundcheck

Das Krachen der Pringels, wenn sie zwischen die oberen und unteren Schneide­zähne geraten, und das anschliessende sprutzelnde Krümeln derselben zwischen den Backenzähnen sind ja kein Zufall. Nestle zerlegt diese Geräusche im Labor in die einzelnen Schwingungen, setzt diese wieder zusammen, baut Loops ein, mehr Bässe und Dolby natürlich und eine Prise Testosteron, schraubt da solange am Sound herum, bis die optimale Melodie der Chips erreicht ist. Dann werden die Zusatzstoffe und die übrigen Kartoffeln zerlegt und wieder so zusammengebaut, dass sie genau diese Melodie erzeugen, die den Käufer und Kauer angenehm anspricht und schliesslich in die Abhängigkeit stürzt. Es ist ja kein Zufall, dass es eine enge Korrelation zwischen Chipsessern einerseits und Porsche-Fahrern oder Hauswärten andererseits gibt und die Pringles-Dosen in der Form den Sportauspuffaufsätzen für Kleinwagen oder Potenzflöten1 ähneln. Das Sound-Tuning ist immer dasselbe.

Kalter Kaffee! Die Geräusche, die Essen erzeugt, sind keine Erfindung von Nestle, sondern für jeden einigermassen sensiblen

1Hauswart-Ferrari, Hundescheisse-Zerstäuber, Berlusconi-Vibrator oder vulgo: Laubbläser
Hobbykoch wie zum Beispiel mich seit Jahren selbstverständlicher Bestandteil der Menuplanung. Ich kann mich noch genau erinnern, wann das angefangen hat: Als vor ca. 20 Jahren mal der Schwager zu Besuch war und es einen Gratin gab. Geben sollte. Das trockene Klack gefolgt von einem gedämpften Klirren, einem sumpfenden Matschgeräusch und diversen mehr­spra­chigen Flüchen, das die gläserne Gratinform erzeugte, als sie mir aus den Backhand­schuhen auf den Kokosfaserteppich und Novilonboden schlitterte, sind unvergessen. Es gab dann geräuschlose und daher etwas langweilige Spaghetti al Kukidente stattdessen, die wir akustisch mit Schlürf­geräuschen aufmotzen mussten.

Auch das knochentrockene Klicken, welches sich unter das saftige Krachen mischt, wenn Backenzähne beim Essen von Krachmandeln ausbrechen, ist fest in das Lexikon meiner kulinarischen Symphonien eingegangen. Es ist nicht gerade meine Lieblingsmelodie, genau so wenig wie das Surren des Zahnarztbohrers, aber sicher schweiss- und speicheltreibend und nicht mehr aus den Ohren zu bringen. Ein gastronomischer Tinnitus sozusagen.

So erstaunt es nicht, dass ich schon seit Jahren, wie Nestle, einen Soundcheck vor dem Anrichten durchführe. Raschelt das Brot unseres einzigen Dorfbäckers wie üblich beim Anschneiden wie ein im Siff einge­trockneter Abwaschlappen, und schmeckt
es auch so? Wie tönt die Suppe, wenn sie auf den Teller klatscht, wie der gut abgehangene Nüsslersalat, wenn er vom Salatbesteck tropft? Wie mischt sich das hoffnungsfrohe Plop des Bordeauxzapfens in das Platschen des Flascheninhalts auf den Schieferboden, wenn der Flaschen­boden zu schwach war? Wie verschmilzt das edle Seufzen des Souffles beim ersten Anstechen durch den Silberlöffel mit dem Andachtswind, den meine bei Tisch sitzende Ehefrau vor lauter Ergriffenheit fahren lässt? Ist die Kombination des scharfen Zischens beim Fleischanbraten und des läutenden Telefons (Beethovens Fünfte) genauso speichelanregend wie die gummigen Kaugeräusche, die der anschliessende Verzehr des Alaminute-Rindslederriemens provoziert? Wer kennt nicht die explosive Drammatik des Irish Stew, das sich aus dem Dampf­koch­topf befreit? Das Knistern der im Ofen vergessenen Pizza Pompieri? Oder das leise Schmatzen, wenn sich die Omelette von der Küchendecke löst und auf die Glatze klatscht?

Pringels? Porsche? Potenzflöte? Nein: Puccini! Purcell! Piazzolla! Das Ohr isst mit.
Pizzaiolo

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