Ein Kater namens Sidi Brahim

Dichtestress

Ja, die gute alte Zeit! Damals, als die Salmonellen noch zu Frankreich gehörten, das Internet noch schwarzweiss war und Mühleberg noch von birkenstockbewehrten Halbaffen mit ungesäuertem Schafdung betrieben wurde. Wenn man beim Nachbarn um Salz fragen gehen musste, kam es häufig genug vor, dass bei der Heimkehr plötzlich acht statt sieben Kinder um den Ofen hockten, neben Grossmutter, die fleissig Kondome strickte. Und immer wenn man mal musste, sass natürlich gerade eins der Kinder auf dem Klo. Trotzdem kam einem die Welt nicht eng vor.

Heute hat man nur noch ein Kind, aber zwei Klos, und trotzdem sind beide von diesem besetzt, wann immer man selber muss. Wie das geht? Fragen Sie ihren Arzt: Dichtestress! Das Ecopop-Rezept dagegen habe ich ausprobiert, leider aber ohne Erfolg. Ausser ein paar Spinnweben aus Burka Fasino habe ich nichts zum rausschmeissen gefunden, und die Klos waren danach immer noch besetzt. Mich beschleicht der Verdacht, dass das Rezept falsch war und mein Dichtestress eher hausgemacht ist, also daher stammt, dass unser drittes Säule messianische Qualitäten entwickelt, je älter desto mehr. Schon als sie klein war, bekam ich immer ein ungutes Gefühl, wenn ich ihr überstelltes Zimmer betreten musste - Sie wissen ja: verschluckbare Kleinkinder und so - heute habe ich keine Angst mehr davor, einfach weil das Betreten des Zimmers gar nicht mehr möglich ist. So muss sie nun neuerdings zum Lesen aufs Klo ausweichen. Messies sans frontières. Wir haben für
kurze Zeit das papierlose Klo durchgesetzt, mussten das aber wieder aufgeben, weil die Braunen gegen diese Erfindung aus dem Ausland protestiert haben.

Ich habe unserer Tochter schon vor längerer Zeit mal klare Regeln zum Aufräumen und Wegwerfen aufgeschrieben. Von mir kann sie das also nicht haben, diesen Hang zum Jäger und Gammler. Ausser einem üppigen Weinkeller, Schuhen, die mir seit der Kindheit nicht mehr gehen, diversen Löchern in Unterhosen, Socken und Pyjamas und ein paar getrocknete Ohrfeigen aus Grossmutterbestand hebe ich selber fast gar nichts auf. Und die Löcher brauchen nun wirklich keinen Platz. Gut, die Stadtpläne von Byzanz und Atlantis sind wahrscheinlich nicht mehr ganz aktuell und könnte man wegwerfen, ebenso das DOS 1.1 Usermanual, die vergilbte chinesische Gebrauchsanweisung für die Guillotine von Urururururonkel Berger - das Teil selber brauchen wir noch als Eierschneider - und das Telefonbuch der Stadt Bern von Anno 1768. Die Oberfläche meines Schreibtisches ist vorbildhaft streng chronologisch geordnet. Da drinnen irgendwo müssen auch eben diese Aufräum- und Wegwerfregeln stecken. Ich trau mich aber nicht, diese zu suchen, da ich sonst die Ordnung durcheinander oder gar zum Einsturz bringen würde. Ich könnte den Papierberg ja mal vorsichtig in Pizzaschachteln umladen, die lassen sich besser stapeln. Dann hat die Katze auch mal wieder Platz zum Kotzen. Verdichtetes Wohnen eben.

Wie geniessen wir jedoch immer die Situationen, wenn wir uns nach tagelanger Wühlarbeit einen Lichtblick verschaffen können, behutsam das Loch vergrössern
und schliesslich in der freien Natur stehen, wo wir tief durchatmen können und die Weite geniessen.

Andere Leute haben da mehr Mühe mit der freien Natur. Klar, wenn einer eine aufgeräumte 300-Quadratmeterwohnung alleine mit drei CD’s und einer Stereoanlage von B&O bewohnt, die wie ein Sechzehnender an der leeren Wohnzimmerwand prangt und auch so tönt, und dann, weil er zuhause die Fenster nicht öffnen kann, keine kotzenden Katzen und keinen Milbenperser besitzt und daher die Natur vermisst, mit dem Offroadpanzer auf der achtspurigen Autobahn in den Wald fahren muss und in diesem keinen Parkplatz mehr findet, weil da bereits ganz viele andere unverdichtet Wohnende parkieren und ausserdem noch ganz viele kalte Betten rumstehen, dann kriegt der natürlich Dichtestress. Er guckt dann erst mal, ob unter diesen Betten Ausländer faul rumliegen, und schenkt diesen dann das Recht auf Heimkehr und Familienplanung. Frustriert, weil das nichts nützt, fährt er wieder nach Hause und baut einen mannshohen buchsbaumbegrünten Maschendrahtzaun um sein Eigentum, um Fussbälle, Katzenköttel und Nachbarsblicke aus seiner Oase der Ruhe herauszuhalten. Einkaufen geht er nur noch virtuell. Irgendwann stirbt er, aber keiner merkt und riecht es. Und das ist auch gut so, denn unter der Erde, ja, da herrscht wirklich Dichtestress.
Diogenes in der Mülltonne

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