Ein Kater namens Sidi Brahim

Hautfarbenlehre

Als ich letzthin im Nünitram im fahrscheinlosen Zustand ertappt wurde und mich der Kontrolleur des "Schwarzfahrens" bezichtigte, konterte ich mit der Androhung einer Anzeige wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz. Der Kontrolleur wurde rot und beteuerte , nichts liege ihm ferner, seine Grossmutter sei Italienerin und er habe eine Ghanaerin geheiratet, aber schon hatte eine Gruppe zufällig anwesender Pigmentbevorteilter sich um ihn versammelt und fixierte ihn mit Raubtierblicken. Fluchtartig verliess er den Bus, und ich kam ohne Busse heim. Wie praktisch die erhöhte Sensibilität für Diskriminierung in der Sprache doch sein kann.

Etwa so wie der Kontrolleur muss sich Astrid Lindgren letztes Jahr gefühlt haben, als man Pippi Langstrumpf den Vorwurf machte, sie sei rassistisch, da sie ihren Vater "Negerkönig" nennt. In der DDR war Pippis Vater zwar immer der "König der Takatukaner", was politisch neutral ist und so schön auf der Zunge zergeht wie "Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Zabanga" oder "Erich Honecker". Aber im westdeutschen Oetinger-Verlag wurde der Begriff erst 2009 in "Südseekönig" umgewandelt. Etwas früher ist der Verlag offensichtlich von Freudianern, dem Jugendschutz oder der katholischen Kirche dazu genötigt worden, das Titelbild des inkriminierten Buches zu überarbeiten, und hat die Bananen durch Kokosnüsse ersetzt.

Nachdem sich der Begriff "Neger" etwa seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts langsam vom Alltagswort in einen politisch unkorrekten Begriff wandelte und heute ganz verbannt ist - auch der Negerkuss wurde zum Schokokuss, nur in Hitlers Heimatland wird dieses Produkt
ironischerweise seit jeher "Schwedenbom­be" genannt, wahrscheinlich, weil alles, was gut ist, auch blond ist - sagte man stattdessen "Schwarzer" oder "Farbiger". Auch das gilt heute als problematisch. "Afrikaner" ist sachlich falsch, da damit ausgerechnet eine südafrikanische Afrikaans sprechende Ethnie mit weisser Hautfarbe etikettiert wird - der europäische Kolonialismus hat leider auch vor der Sprache nicht halt gemacht. Ausserdem stammen ja längst nicht alle dunkelhäutigen Menschen aus Afrika, genauso wenig, wie alle Fremden aus Asylien stammen und alle Ausländer aus dem Ausland (für Ausländer stammen Schweizer aus dem Ausland, jaja, könnt ihr glauben!). Schwarzafrikaner, Afroamerikaner, Afrodeutsche sind Begriffe, welche versuchen, Hautfarbe zusammen mit der Herkunft unverfänglich und wohlfühlintegrativ wiederzugeben. Dieser Ansatz hat allerdings auch seine Grenzen: Afroappenzeller oder Schwarzchinesen werden wohl immer Fremde bleiben.

Ein weiterer übervorsichtiger Versuch, eine Hauteigenschaft zur Charakterisierung von Menschen zu verwenden, nämlich von "stark pigmentierten Menschen" zu sprechen, ist leider bei genauer Betrach­tung ein Rohrkrepierer, da die Mitte der Welt oder das Normale eben genau wieder bei den Weisshäutigen zu liegen kommt und die dunkle Hautfarbe als Abweichung vom Normalen bezeichnet wird. Wenn schon, dann sollte man von "normal pigmentierten" oder "pigmentbevorteilten" Menschen sprechen und die Weissen als "Mangel­pigmentierte" bezeichnen. Das ist nicht nur politisch, sondern auch semantisch korrekt, da die hübschen Sonnenbrände, die viele Bajuwaren und Engländer sich im Winterhalbjahr an afrikanischen Stränden holen, als verzweifelter Assimilierungs­versuch gedeutet werden sollten, sich zumindest farblich den Normalpigmentierten anzunähern.
Mit dieser Ausbleichung der Sprache macht man sich leider wiederum der Diskrimi­nie­rung der weissen Rasse verdächtig. Schwierig, schwierig, wie kommt man da bloss raus. Jeder noch so weit hergeholte Begriff hat ja irgendeine Vorgeschichte, die ihm zum Verhängnis wird. Verstummen? Von den "Unaussprechlichen" sprechen, wenn man die, eben die, also ihr wisst schon meint? Manche helfen sich aus dem Dilemma einfach, indem sie vom "N-Wort" sprechen. Damit kann der Deutschsprachige aber gerade mal 26 Tabuzonen umkreisen, vom A-Loch bis zum Z-pfel, bei der 27. gerät er in T-s Küche.

Die ganze Diskussion um Kinderbücher und Hautfarbenbegriffe ist aber natürlich richtig und notwendig, weil die Sprache ja unser Handeln beeinflusst und dann viel mehr weh tut. Es sind ja nicht "Flüchtlingsunterkünfte", welche von minderpigmentierten Kahlgeschorenen angezündet werden, sondern "Asylantenheime". Im einen wohnen Menschen, die geflüchtet sind, weil ihre Heimat unbewohnbar geworden ist, im anderen solche, die etwas von uns wollen, vielleicht sind sie auch nur Schafe, wie uns eine besonders ziegenbockhaltige Volkspartei nahelegt. Es ist die Wahl der Begriffe für das Fremde, die uns manchmal vergessen lässt, dass auch wir Ausländer sind.

Der Kontrolleur hat mich dann einen Monat später doch noch erwischt. Diesmal nannte er mich "Abenteuerfahrer" (im Gegensatz zu den fahrscheinbewehrten Normalos, den "Blassfahrern" rund um mich herum). Das schmeichelte mir und ich zahlte anstandslos die Busse.
Zebra

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