Ein Kater namens Sidi Brahim

Effizienzsteigerung

Neulich kam Eva nach hause und jubelte: Juhui, keine Aufgaben! Schön, dachte ich, die Kinder haben ja genug Stress, sollen ruhig auch mal freihaben. Am nächsten Tag gab es angeblich wieder keine Aufgaben, am dritten Tag wurde ich dann stutzig und schritt zur Aufgabenüberprüfung, sprich, ich kontrollierte das Aufgabenheft. Blitzrechnen bis gestern, Milles feuilles bis heute und einen Text schreiben bis morgen hiess es darin.

Ich stellte Eva zur Rede und bekam die Antwort, sie betreibe eben Aufgabenverzicht. Das sei nicht nur eine Frage der ressourcenbewussten Verantwortung, welche die Erwachsenen offensichtlich nicht mehr wahrnehmen wollten und nun halt die Kinder übernehmen würden, sondern zurzeit auch gerade sehr hip, bei Alt und Jung. Und es mache schliesslich jeder so und erst noch Spass.

Nun ja, als verantwortungsvoller Teilzeitvater mit ehrenamtlichem Mandat wollte ich auf die Erziehungsaufgabe nicht ganz verzichten und redete Eva ernsthaft ins Gewissen, doch nicht jeden Blödsinn nachzuäffen, den sie bei den Erwachsenen beobachten würde. Sie sei schliesslich ein Kind und damit selbständiges und verantwortungsvolles Handeln gewohnt. So drehte ich den Spiess um und nutzte ihre eigene Argumentation, um sie zu Leistung anzustiften.
Noch ganz stolz über meine hervorragende pädagogische Leistung stellte ich am nächsten Tag fest, dass Evas Schulsack, abgesehen von den üblichen Erdnussschalen und Apfelkerngehäusen, ganz leer nach Hause gekommen war. Nicht einmal mehr das Aufgabenheft war darin. Was denn das nun wieder solle, fragte ich Eva. Sie wollte erst gar nichts sagen, rückte aber dann damit heraus, dass sie nun eben in einem Entlastungsprogramm mitmache und auch aus diesem Grund ihrem Vater nicht mehr für alles Rechenschaft schulde, schliesslich gehöre das nicht zu den Kernaufgaben von Kindern, den doofen Alten die Welt zu erklären. Ausserdem nehme sie den Schulsack morgen gar nicht mehr mit, da die Vermeidung von Leerfahrten zur ökologischen Vernunft gehöre, zu der sie ja schliesslich von uns erzogen worden sei. Darauf wusste ich erst einmal gar nichts zu antworten.

Ich war ja schon ganz froh, dass sie am nächsten Morgen überhaupt zur Schule ging - irgendwie schien mir das gar nicht mehr so selbstverständlich wie bis anhin. Auch benötigte ich etwas Fantasie, um mir zu überlegen, in welchem Transportmedium ich ihr Erdnüsse und Pausenapfel mitgeben sollte. Eva half mir dann, ein Massnahmenpaket zu schnüren, in welchem sie den Ressourcenausgleich mit in die Schule mitnehmen konnte, so drückte sie sich aus. Während ich zuhause den Haushalt sanierte, versuchte ich krampfhaft dahinterzukommen, was hier eigentlich schief läuft.
Am nächsten Tag verlangte Eva, den Apfel durch eine Tafel Schokolade ersetzt zu bekommen. Erstens sei ein "Pausenapfel" ein von frühchristlichem Denken geprägtes Attribut subtiler Schuldzuweisung und als ökonomisch denkender Mensch betreibe sie nun mal Schuldenabbau, und zweitens fehle ein positives Anreizsystem für den Bildungsspaziergang, den sie zu unternehmen gedenke. Ich staunte nicht schlecht ob dem Fortschritt, den sie in ihrer Ausdrucksweise machte, und wagte schon gar nicht mehr zu widersprechen.

Am nächsten Tag, einem Freitag, erklärte Eva, als ich sie wecken wollte, sie stehe nicht auf. Sie würde in Zukunft administrative Leerläufe ganz einsparen, das heisst gar nicht mehr zur Schule gehen. Ihre Lehrerin sei übrigens schon seit Tagen nicht mehr in der Schule erschienen.

Um Elf verliess sie das Haus dann doch noch. Allerdings nicht zur Schule. Heute sei ASP, erklärte sie knapp und liess mich stehen. In Wikipedia fand ich dann heraus, was das heisst: Abenteuerspielplatz1.
Sparschwein

1 Der Autor ist hier wahrscheinlich einem Irrtum unterlegen: ASP bezeichnet die Assoziation Schweizer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder die Afrikanische Schweinepest


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