Ein Kater namens Sidi Brahim

Zimt und Ziegenbart

Letzthin war ich auf dem Markt und habe Pflaumen gekauft. Neben den Pflaumen stand ein Täfelchen: „In der Nase dezente Noten von Château Gazin und Château Le Pin, auf dem Gaumen werden Sie dann an Château Pavie erinnert, aus dem sich nach längerem Kauen auch Spuren des legendären Château Pétrus 2000 entwickeln.“ Der Preis der Pflaumen betrug 80 Franken das Kilo, was mich nicht überraschte. Später war ich im Globus und schaute mich nach Kaffee um, und zwar wünschte ich mal eine andere Sorte auszuprobieren als die gewohnte. Zum Glück waren auf der Rückseite der rund zwanzig verfügbaren Sorten Bemerkungen angebracht wie „duftet nach Bandol und Barolo“, „der Opus One unter den Arabica“ oder „raffinierte Kombination von Sauvignon Blanc mit Shiraz“. Das erleichterte mir die Entscheidung doch sehr. Dann gelangte ich in die Haushaltsabteilung, wo ich einen
Allzweckreiniger mit Gewürztraminer- und Portweinnoten erstand, und schliesslich fand ich in der Körperpflege-Ecke Zahnpasta mit Sauternes-Aroma und Primitivo-Präservative.

Absurd? Beim Weinkauf ist dies Alltag. Weine schmecken nach allem möglichen. In den Degustationsnotizen der Weinpäpste wimmelt es derart von Obst, dass man meinen könnte, Weintrinken diene der Vitaminaufnahme. Auch Blumen kommen gleich straussweise vor, nicht nur in der Blume des Weins. Es wundert mich, dass man Wein noch nicht per Fleurop verschicken kann. Nicht nur die Blumen, auch das Unkraut nistet sich gerne in der Aromatik nicht nur der biologisch angebauten Weine ein: Efeu, Unterholz, Tomatenblätter und Pfefferminze. Alle möglichen anderen Genussmittel finden auch ihren Platz. Kaffee, Sahne und Vanille sind so häufig wie in der Altersheim-Cafeteria um vier Uhr nachmittags. Für diejenigen, die sich nicht so gerne mit Grosi-Aura umgeben, also die önologischen Machos, gibt es aber auch Leder, Tabak und
Petroleum. Auch nach Brotrinde, Nagellack, Schokolade, Zitronatzitronen, warmen Kirschen, Tusche und Teer, Zimt und Ziegenbart schmeckt Wein. Nur nach einem normalerweise nicht: nach Trauben! Wenn Sie Weinbauer oder Weinhändler sind, dann probieren Sie mal einen Wein zu verkaufen, der „nach Trauben“ schmeckt! Sie werden drauf sitzen bleiben.
Jean-Paul Musigny

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