Ein Kater namens Sidi Brahim

Sport ist gesund - aber nicht für den Hund

So arbeitet die Evolution: weil die Spezies Homo Sedens zwei Drittel des Tages sitzend verbringt, führt das langsam, sehr langsam zur Rückbildung der Arm- und Beinfortsätze. Am Individuum wird diese Mutation von der Natur im Zeitraffer ausprobiert, muss aber noch etwas optimiert werden: Die erwünschte Rückbildung der Extremitäten findet häufig aufgrund des erhöhten Tempos in Form einer Masseverlagerung in die zentralen abdominalen Regionen statt: die Waden wandern zum Sitzgerät hinauf und den vermissten Bizeps finden wir unverhofft in Form einer neuen Dreifaltigkeit um den Bauchnabel herum wieder.

Mit dieser Annäherung unserer Physis an die geometrische Idealform bezweckt die Natur zudem eine ökologische Optimierung: Es geht darum, das Verpackungsmaterial Haut zu sparen, da dieses der erhöhten UV-Strahlung weniger gut standhält als früher, eine neue Form der Erdverbundenheit auszuprobieren und auch einfach die Transportwege für ungesunde Nährstoffe zu verkürzen, damit diese effizienter subkutan angereichert werden können. Was klar ist, dass dieses individuelle Mutationsexperiment der Natur von vielen als ungesund empfunden wird, wenn sie es an sich erleben - kein Wunder, schliesslich hat uns das Trainer Max lange genug so eingetrichtert.
So versuchen wir verzweifelt, diesem Evolutionsprozess etwas entgegenzusetzen und uns etwas mehr Bewegung zu verschaffen. Das fängt an mit Fussballgucken und Nüsschenpicken im Akkord, dem händischen Zusammenfalten von gebrauchten Coladosen in der Arbeitspause oder zweimal statt nur einmal den Liftknopf drücken. Selten führt das zum Ziel, daher werden gelegentlich auch drastischere Methoden angewandt.

Die einen schaffen sich künstliche Armverlängerungen an, um der Extremitätenverkümmerung entgegenzuwirken, und stacheln sich im Stakkato-Kreuzfeuer auf allen Vieren durch die Welt. Aussehen tut das wie eine Überkorrektur der Evolution. Die anderen betreiben Bein-Dekubitus, indem sie sich luftgefederte Joggingschuhe anschnallen und versuchen, einmal ums Haus zu rennen - Unerfahrene sollen dabei auch schon zusammengeklappt sein, die Erfahrenen machen einen kleinen Zwischenhalt in der Stammkneipe. Und dann gibt es noch die, die sich in eine XXXL-Cervelathaut von Thömus Veloshop quälen, sich auf ein Karbonrad schwingen und mit der Grazie und Gelassenheit eines Zeppelins bei Windstille weissrotschwarz über die Hügel schweben. Und diejenigen, die sich zu schwach fühlen, den inneren Schweinehund zu überwinden, schaffen sich einen Hund an, der sie dann doch wenigstens gelegentlich nach draussen oder zum Teppichschamponieren zwingt. Das Ziel: Fit- statt Fatness. Geliebt statt gewogen werden.
Nun, helfen tut es langfristig nichts. Die Evolution ist stärker als wir, das wussten schon Mendel, Darwin und Himmler. Das Radfahren überstehen wir ja nur dank anschliessendem Doping mit dem Inhalt der orangen Tüte, der ein berühmter Radrennfahrer (Albert Zweifel) seinen Namen geliehen hat, vielleicht noch gedopt mit dem Vollfettfrischkäse eines anderen Radfahrers (Alberto Cantadou). Nur die ganz harten Männlein und Weiblein halten sich beim Sport nur mit Obst und Gemüse rank - allerdings nicht ohne dass sie offensichtlichen Schaden an der Libido nehmen: Das sind dann genau die mageren Untoten, die in der Migros die Pfirsiche und Bananen knutschen und nachts im Schein der Kühlschranklampe und mit schlechtem Gewissen Hartwurst mit Mayonnaise naschen.

Da sind dann doch die Minimalisten viel konsequenter, bei denen sich das sportliche Aussehen auf das Tragen von Adiletten beschränkt. Ansonsten fügen sie sich gehorsam der Evolution, tragen khakifarbenen Dreiviertelshorts mit Heineken-Taschen und rutschfestem Unterwampenbund und dazu unpassende BicMac-Baseballmützen, wenn sie am Wochenende am Grill stehen. Das ist dann auch das letzte Mal, dass sie mit dem Hund nach draussen gehen, diesmal mit Vergnügen.
Streifen machen schlank

>home >archiv