Ein Kater namens Sidi Brahim

Ablasshandel

Es begann mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings. Irgendwann einmal, nachdem Mama einen hatte fahren lassen, befand unsere Tochter aus einem moralischem Impuls von uns nicht näher bekannter Herkunft heraus, Mama müsse Entschuldigung sagen. Das wurde zur Familienregel. Die Zeit der freien Winde war vorbei, auch für uns Altvierundsechziger, Anstand und Sitte zogen in unser Haus.

Eine Zeitlang konnten wir uns durchschummeln. Wir sagten Chewingum statt Tschuldigung oder Häxebüsi statt Exgüsi, ohne dass klein Eva es merkte. Dann aber flogen wir auf, die Flatulenz­marktaufsicht zog das Falschgeld schleunigst aus dem Verkehr und führte eine Währungsreform durch: Exgüsi galt fortan nach wie vor für einen Gruss aus Darmstadt, Entschuldigung jedoch, da länger und anstrengender, war das Dreifache wert.

Nur war keiner von uns Hobby-Flatulenzler in der Lage, dreimal hintereinander Beethovens Fünfte zu blasen und damit den Gegenwert einer kostbaren Entschuldigung zu erbringen. Was macht man in der Deflation? man spart! Also durfte man ein Konto eröffnen, auf dem man Rest-Entschuldigungen deponieren und bei Bedarf ausgeben konnte. Man konnte auch,
wenn man schon mal dran war, gleich dreimal hintereinander Entschuldigung sagen. Zinsen gabs zwar keine, aber so lernte Eva zählen.

Dann geschah es, dass Mama zwar einmal wunderbar sonorodorieren konnte und brav Entschuldigung sagte. Dann kam nichts mehr. Jedenfalls aus der Ecke nichts, dafür aus der anderen. Papa hatte die geniale Idee, das Restguthaben von Mamas Entschuldigung aufzubrauchen. Schliesslich, so seine bestechende rieslinggestützte Argumentation, fielen innereheliche Erträge zur Errungenschaft und nicht zum Eigengut. Und ausserdem seien als Verursacher des Analhustens der Ehefrau zweifelsfrei die Zwiebeln auf dem Flammenkuchen aus der Küche des Gatten identifiziert.

Das setzte einen gnadenlosen Wettbewerb in Gang. Sämtliche moralischen Grenzen und protektionistischen Massnahmen fielen. Zölle wurden aufgehoben, Ausfuhr­inkon­tinente gelockert, der Export blühte. Der Schnellere gewann. Kaum war ein Kredit gesprochen, tönte ein mehrstimmiger Chor von Jericho-Trompeten aus allen Ecken. Mehr oder weniger strukturierte Produkte eroberten den Markt mit Getöse. Man lebte in Saus und Braus, auf Pump und Pups. Immobilien waren out, Abgangsentschädi­gungen in.

Bis zur Krise? Keineswegs. So blöd wie die Fed waren wir nun auch wieder nicht, dass wir einfach druckten wie gelügt, um den hungrigen Markt mit genügend Flüssigem zu
unterhalten. Rechtzeitig wiesen wir den Wildwuchs in Schranken und verhinderten das Platzen der grossen Blase. Wir sind ja schliesslich keine Neandertaler, Keynesianer oder gar Amerikaner! Nein: Die Rettung der Welt war angesagt: Wir entsagten dem freien Konsum und begannen zu kontingentieren. Und zu handeln. Mit Emissionszertifikaten.

Statt freier Fart für freie Bürger war nun CO2-Sackgeld angesagt. Wir wurden grün bis hinter die Ohren, wahrscheinlich zur Kompensation der mangelnden Rotfärbung derselben, die bei unserem Verhalten eigentlich angebracht gewesen wäre. Es wurde hart gefeilscht. Das Sitzungszimmer durfte keiner verlassen, bevor er das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, sich zur Reduktion der Scheisshausgase und Verhinderung der Hosenerwärmung verpflichtet hatte. Klimaschutz wurde auch im Haus zum Thema, Freiland- verdrängte Käfighaltung und ein ausgeklügeltes Bonus-Malus-System ersetzte den vormalig blindwütigen Konsum: Acht leise Schleicher musste man hinblättern, wollte man einmal mit pochendem Achtzylinder und Frau Meier auf dem Beifahrersitz die Strasse nach Schweinfurt runterbrettern.

Nun ja: Ob wir die Welt damit gerettet haben, wissen wir nicht. Aber es gibt uns ein gutes Gefühl. Vorher und nachher.
Hansdampf in allen Gasen

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