Ein Kater namens Sidi Brahim

Die Guttenberg-Bibel

Abschreiben taten schon die Mönche, bevor Gutenberg ihnen diese Arbeit abgenommen hat. Vor allem die Bibel. Und die Bibel ist eine Sammlung von Texten, deren Autorenschaft in den meisten Fällen gar nicht bekannt ist, und die auch keine Quellenangaben führt. Gleichzeitig ist sie die am weitesten verbreitete Schrift der Welt.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat dieses Erfolgsrezept kopiert, und es scheint auf den ersten Blick zu funktionieren. Seine juristische Dissertation gehört zur Zeit zu den meistgelesenen Werken im deutschsprachigen Raum, sicher mehr gelesen als die Bibel. Und das, obwohl es wie die Bibel ursprünglich nicht für das allgemeine Publikum gedacht war.

Aber Guttenbergs Erfolg ist nur ein halber. Die Bibel wird noch heute gelesen, weil ihr Inhalt interessiert. Die Botschaften von Jesus sind noch heute so klar und verständlich, weil sie häufig in Gleichnissen
daherkommen, in bildlichen Vergleichen aus dem Alltagsleben. Die Kritik der Pharisäer an seine Jünger, dass diese nicht fasteten, parierte Jesus beispielsweise mit dem Vergleich, dass man ja auch nicht neuen Wein in alten Schläuchen aufbewahre, da dies beides verderbe.

In der Guttenberg-Bibel sieht das anders aus: Zwar tritt ihr Protagonist ebenso selbstbewusst auf, aber er verkauft im Gegensatz zu Jesus alten Wein in neuen Schläuchen. Seine Leserschaft interessiert sich zwar auch für Gleichnisse, nämlich für Vergleiche von Textstellen aus seinem Werk mit denjenigen in anderen Publikationen. Der eigentliche Inhalt des Textes, sowohl des Originals wie der Kopie, ist jedoch völlig wurst und für die meisten Leser unverständlich. Trotzdem: Es wird gelesen wie wild. Statt sich mit Tipps für ein gutes Leben zu versorgen, ist es natürlich erbaulicher, den ersten Stein auf jemanden werfen zu können, der in seiner geschmeidig-wohlgeplanten Karriere nun als Zauberlehrling, Selbstver­teidigungs­minister, Plagiator-Gladiator oder gar am Bundesverdienstkreuz zu enden droht.

Immerhin: Nicht mal Jesus hat es geschafft, in so kurzer Zeit so viel Interesse an seinen Äusserungen zu wecken. Ihm fehlte die Durchschlagskraft der modernen Medien. Würde er heute leben, dann würde er Twittern statt Predigen, seine Wunder auf Youtube dokumentieren, die Heilung von Aussätzigen würde er seiner Jesus of Nazareth Foundation überlassen, die Bibel hiesse Wikiklesia, und statt mit einer Dornenkrone nach Golgatha zu laufen, würde er mit einer elektronischen Fussfessel in London auf die Auslieferung an die schwedische Justiz warten.

Das Kreuz, an das heute alle selbsternannten Prediger und Propheten, Pharisäer und Jünger genagelt sind, ist aber: Da braucht nur mal so ein Judas über das Kabel zu stolpern, an dem der Server hängt, und die Welt vergisst sofort, worüber sie sich soeben noch aufgeregt hat. Zum Glück ist Jesus schon lange tot: Von ihm wurde nur abgeschrieben, was heute noch Bestand hat. Alles andere war damals schlicht zu aufwändig.
Anuspex

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