Ein Kater namens Sidi Brahim

Kranke Kassenprämien

Das ist Pessimismus: Alle Welt macht sich krank wegen der steigenden Krankenkassenprämien – aber niemand freut sich, dass die Bordeaux-Preise heuer dank der Wirtschaftskrise purzeln. Endlich kostet eine Flasche Château Bourse-Plate wieder weniger als ein nigelnagelneuer Mercedes, sogar nach Abzug der Verschrottungsprämie. Das ist doch erfreulich. So kann man beim Bordeaux sparen und bei der Gesundheit investieren, ohne Qualitätsverlust! Ausserdem ist bekannt, dass die Freude über ein Schnäppchen glücklich macht, dass Glück gesund macht und dass somit die Krankenkassenprämien mittelfristig auch wieder sinken dürften. Also: kauft Bordeaux, was das Zeug hält! Wenn man schon neue Heilungsmethoden kassenpflichtig machen möchte, dann doch bitte eher die Bordeaux- als die Eigenurintherapie.

Bordeaux kaufen ist sicher das bessere Rezept als 30 Franken Eintritt beim Hausarzt zu verlangen. Das ist soviel wie ein Zirkuseintritt. Kino ist sogar noch billiger. Ausserdem kriegt man für die 30 Hämmer ja nur die Werbung und den Vorfilm, für jede Minute des Hauptfilms zahlt man dann noch extra Taxpunkte, und der Abspann kostet auch wieder extra. Wie die Taxpunkte verrechnet werden, ist für den Patienten ebenso verständlich wie der Name der Krankheit, die er angeblich hat. Wahrscheinlich ist das ja auch korreliert: Je lateinischer der Schaden, desto teurer. Schliesslich kostet so eine Lateinausbildung ja auch und will amortisiert werden. Das Ganze wirkt lediglich abschreckend und verteuernd: Es führt dazu, dass man mit seinem Hühnerauge nicht mehr zum Hausarzt geht, sondern so lange selber mit einem rostigen Sparschäler daran rumschnippelt, bis man mit Blutvergiftung im Notfall landet und nach Amputation der Gehwerkzeuge mit Rollstuhl wieder nach Hause entlassen wird. Das aber ist dank Zusatzversicherung gratis, und die IV zahlt einem obendrein einen Treppenlift und einen neuen Sparschäler. Da ist man ja echt blöd, wenn man noch zum Hausarzt geht!
In dem Zusammenhang muss ich halt noch ein weiteres Mal auf die genialste Neuerfindung der Oekonomen seit der Lebertran-Tauschbörse und den Hedge-Funds zurückkommen: Der Verschrottungsprämie. Um das Gesundheitssystem nachhaltig zu sanieren, sollte ja nicht, was mit dem Eintrittspreis in die Praxis bezweckt wird, das Krankwerden verteuert, sondern vielmehr das Sterben verbilligt werden. z.B. mit Mengenrabatten bei Särgen oder Familien-Pauschalangeboten für Bestattungen. Da kommt dann auch wieder der Schnäppchen-Effekt hinzu: Wer einfach nur krank wird, wird aus der Gram über die Kosten nur noch kränker und teurer. Wer hingegen einfach so stirbt, kann dies lächelnd tun: So billig war’s noch nie!
Pascal Bouche-vin

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