Ein Kater namens Sidi Brahim

Das goldene Geheimnis

Es war einmal, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, ein kleines Land, wo Milch und Zinsen flossen. Die Berge waren aus Käse und hatten lange Löcher drin, durch die konnte man mit schnellen Zügen hindurchfahren, und wenn man nicht stecken blieb, so gelangte man in die Ebene in der Mitte des Landes. Dort lag die Hauptstadt, in welcher die sieben Zwerge, drei von ihnen waren Zwerginnen, wohnten. Das heisst, sie wohnten nicht dort, sondern sie regierten das Land. Neben dem Zwergenhäuschen, in welchem sie regierten, stand aber ein riesiger Palast. Der war ganz aus Gold und mit Gold gefüllt. Darinnen sassen grosse Männer, die regierten den Palast und befahlen viele kleinere Männer, die unablässlich weiter Gold in den Palast und im Palast von der einen in die andere Ecke trugen. Kein Mensch konnte genau sagen, woher das Gold kam, wieso es in diese und nicht in die andere Ecke gelegt wurde und warum es kurz darauf doch noch in die andere Ecke gelegt wurde und warum es immer mehr wurde. Das war das Grosse Geheimnis, welches von den grossen Männern mit grosser Sorgfalt gehütet wurde.

In dem unaufhörlichen Gewusel in dem Palast merkte niemand von den kleinen und grossen Männern, wie auf einmal das Gold im Palast nicht mehr mehr, sondern erst langsam, dann viel schneller immer weniger wurde. Auf einmal, als sich der grösste unter den grossen Männern, Peter, auf einen aus Goldbarren errichteten Thron setzen wollte, fiel er ins Leere, weil der Thron nur aus Scheingold bestanden hatte. Da brach plötzlich Panik im Palast aus. Alle kleinen und grossen Männlein waren sich plötzlich nicht mehr sicher, ob das, was rings um sie herum glänzte, wirklich Gold war. Sie packten es an, wenn es fest und schwer war, packten sie es schnell in ihr Säcklein, wenn sie ins Leere griffen, liefen sie gierig zum nächsten Stück. Bald einmal
war der Palast leergeräumt und auch die Fundamente fingen an zu wackeln, weil der eine oder andere in der Gier ein Stück aus den goldenen Mauern des Palastes gerissen hatte.

Da riefen die grossen Männer in der grossen Not die sieben Zwerge und Zwerginnen von nebenan, dass sie ihnen doch helfen sollten. Diese kamen sofort herbei und trugen einen riesigen Haufen von Gold, welcher unter ihrem Zwergenhäuschen versteckt war, in den Palast, verlangten aber als Gegenleistung, dass sie fortan nicht nur ihr Land, sondern auch den Palast regieren dürften. Die grossen Männer murrten erst, aber nachdem sie sich noch ein schönes Stück vom Gold in den Sack gesteckt hatten, räumten sie den Platz, einer nach dem anderen. Die Zwerge holten einen ihrer Alt-Zwerge aus der Mottenkiste, der hiess Kaspar, setzten ihn auf den Thron, und der regierte fortan den Palast neben dem Zwergenhäuschen.

Leider wurde auch der neue Berg aus Gold, den die Zwerge in den Palast getragen hatten, zusehens wieder kleiner. Nach langem Nachdenken fanden die sieben Zwerge und Zwerginnen heraus, dass jemand das Grosse Geheimnis an den schwarzen Kaiser verraten haben musste, welcher jenseits des grossen Meeres das grosse Land regierte. Dieser sorgte mit Hilfe von schwarzer Magie und schwarzen Roben dafür, dass zuerst das Grosse Geheimnis, dann der Goldberg immer mehr Löcher kriegte und schliesslich wie die Berge rund um das kleine Land aussahen. Am Ende war von beidem nicht viel mehr da wie eine goldene Erinnerung, die in der lauen Abendluft schimmerte.

Das Eigenartige war, dass all die grossen und kleinen Männer, die vorher tagtäglich damit beschäftigt waren, Gold herumzutragen, gar nicht so unglücklich waren. Der eine hatte sich einen Garten angelegt und hegte liebevoll seine Salatköpfe und Primeln, der zweite hatte
festgestellt, dass er stattdessen mal mit seinen Kindern, die ihn kaum wiedererkannt hatten, einen Ausflug an den See machen könnte und der dritte war ganz vertieft darin, sein altes Velo zu flicken und zu putzen, welches er unter dem Gerümpel in der Garage hervorgeholt hatte, nachdem er seinen Mercedes verkaufen musste. Keiner lief mehr eilig und schwerbeladen herum, alle hatten wieder Zeit, sich umzuschauen, miteinander zu reden. Das Grosse Geheimnis und das viele Gold waren wie eine grosse Last von ihnen genommen worden. Das hatte Platz geschaffen für viele kleine Geheimnisse, die mit zarten Flügeln von Gesicht zu Gesicht flogen und jedesmal ein Lächeln hinterliessen.

Und die sieben Zwerge und Zwerginnen? Die regieren noch heute das kleine Land mit dem Käse rundherum. Es gibt zwar immer mal wieder einen Zwerg oder Unterzwerg, der wehklagt, dass ihnen die bösen Leute rund um das Land herum all das schöne Gold geklaut hätten, aber die meisten hören gar nicht mehr richtig hin. Der Palast aber wurde zu einem Museum umgebaut, in welchem die Familien am Sonntag staunend um riesige Haufen aus Steinen stehen, die golden angemalt sind. Solche Haufen von Gold hätten die grossen Männer damals gebraucht, um überhaupt leben zu können, heisst es auf dem Täfelchen daneben. Die Leute schütteln den Kopf, verlassen den Palast und strecken die Nase an die Sonne. Der Museumsdirektor Kaspar schaut derweil von oben aus dem Fenster und raucht dazu einen Stumpen. Peter aber sitzt im National und spielt mit seinem besten Freund Marcel Schwarzer Peter. Draussen blühen die Geranien, und wenn sie nicht verblüht sind, dann blühen sie noch heute.
Der gestiefelte Kater

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