Ein Kater namens Sidi Brahim

Unheimliche Begegnung der vierten Art

E.T. is home again

Als ich letzthin nach mehreren feierabendlichen Schoppen aus dem Bären trat, hatte meine Stirn eine mir bestens in Erinnerung gebliebene Begegnung mit einem Pflanzenkübel, der mit gut 30 Stundenkilometern über den Migros-Vorplatz schlingerte. Gut, die Polizei wollte keine Geschwindigkeitsübertretung des Fehlbaren festgestellt haben, auch brachte die Bodenprobe aus dem Kübel keine erhöhten Alkoholwerte zutage, dennoch konnten mir die Beamten nicht erklären, wie die Topfkante ohne eine derart übersetzte Geschwindigkeit bis in die Höhe meiner Stirn gelangen konnte und behielt daher sicherheitshalber meine Papiere wegen späteren Zeugenaussagen vorerst und vorsorglich ein.

Am nächsten Morgen dämmerte es mir im hämmernden Schädel: Ich war versehentlich in die Begegnungszone geraten! Ich war schon verschiedentlich gewarnt worden vor diesem Blechschaden-Bermudas-Dreieck im
Herzen von Bremgarten: Wer von der Post noch schnell über die Strasse hechtend den Bus zu erwischen trachtete, riskierte bereits in früheren Zeiten eine Begegnung mit einer Kühlerhaube - nun ist diese Tatsache mit der Umgestaltung durch das Tiefbauamt hochoffiziell bestätigt worden. Das Begegnungstempo ist den bernischen Verhältnissen angepasst worden, indem es auf maximal 20 Stundenkilometer heruntergesetzt wurde, was die Leidenszeit der Angefahrenen exponentiell erhöht und damit diesen Streckenabschnitt der Kalchackerstrasse definitiv zum Geheimtipp für Sadisten-Safaris macht. "Es ist eine Art Piazza, auf der sich das Leben abspielt", liess sich Frau Egger anlässlich der Einweihung verlauten - die gläserne Aufbahrungshalle vis-à-vis der Migros belegt wohl eher, dass sich hier das Sterben abspielt.

Marmor, Stein und Eisen bricht, und auch dem Beton ist schlecht: Die kunterbunte Kunst, die zur Einweihung des Platzes kreiert wurde, konnte dank Beschränkung auf einzelne mobile Quadratmeter rückstandlos entfernt werden und beeinträchtigt die ästhetische Depression des Platzes nun glücklicherweise in keiner Weise mehr. Mit der Entfernung des als Hundenasenbegegnungszone dienenden Buschwerks, der Aufhebung der Zebrastreifen und des geplanten Abrisses des Pelgrim-Minizoos wird auch tierisches Leben konsequent aus dem Zentrum verbannt. Und da sich die Bewohner des Altersheims nun wegen der fehlenden Zebrastreifen gezwungen sehen, mit 20 zur Migros rüberzuhechten, um ihren Kukident-Nachschub zu posten, drüben aber nicht

einmal ein bequeme, schattige Sitzbank zum Ausruhen einlädt, sondern nur eine missglückte rotangestrichene Hors-sol-Halfpipe, dürften auch diese potentiellen Kunden der Begegnungszone nach und nach ausbleiben. Sie empfinden es als sicherer, vor der Überquerung der Strasse den Bus zu besteigen, die Schleife zu fahren bis zum Berner Bahnhofsplatz, wo sie in Ruhe bei Grün über die Strasse zum Loeb in die Körperpflegeabteilung rollatoren können. Für das Fernbleiben der Velofahrenden wurde ebenfalls erfolgreich gesorgt, indem die vormaligen Veloparkplätze im Schutz des Vordachs des Kalchackermarktes durch Gleisbettschotter ersetzt wurden, der nur mehr mit vollgefederten Bikes, Pferden oder UFO’s erfolgreich beparkt werden kann. Vielleicht sind das ja auch die Vorarbeiten für das Tram Bern-Nord? Immerhin: inmitten dieser Hammada bin ich letzthin dem ersten Unkraut begegnet. Genau an der Stelle, an der ich kurz vor meiner unheimlichen Begegnung mit dem Pflanzenkübel hingepinkelt hatte. Daneben stand ein grünes schildkrötenköpfiges Männchen mit leuchtenden Augen und wisperte "home". Wenn das nicht Hoffnung ist!
Stefan Spülberg

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