Ein Kater namens Sidi Brahim

Alibaba und die Wundertüte

Es war einmal eine Made. Die hatte die Nase voll davon, wie ihr Urgrossvater, ihr Grossvater und ihr Vater einfach den lieben langen Tag dick und fett in einem Apfel herumzuhocken und nichts zu erleben. Bei Urgrossvater war das noch anders gewesen: der erzählte immer und immer wieder, wie er in seinem Apfel gesessen habe und dann urplötzlich mitten in der Teleboy-Sendung direkt neben seinem Sofa ein Pfeil durch das Wohnzimmer geschossen kam, die Pendule durchbohrt und den Kuckuck aufgespiesst habe und hinten wieder raus sei, dem Gessler direkt ins Nasenloch, der wegen den Kuckucksfedern kräftig niesen musste. Aber heute, da passierte einfach nichts so Spannendes mehr. Höchstens noch, dass die Frau Meier in der Wohnung gegenüber mal beim Stricken im Kerngehäuse oder in der Nase bohrt, aber ohne Pfeil.

Also beschloss die Made, in die grosse weite Welt hinauszuziehen. Sie packte sich ein Stück Emmentaler ein, eine Siggflasche voll Holundersirup und eine Tafel Schokolade, setzte sich auf gut Glück in das nächste Flugzeug, in dem es zu ihrer Freude Rösti zum Znacht gab, und kam so nach China. Wie staunte sie aber, als sie dort alles vorfand, wie sie es von der Schweiz kannte: Sackmesser gab es da mit Schweizer Kreuzen darauf, Uhren, deren Zeiger von lauter kleinen gelben Maden angetrieben wurden, und sogar den Emmentaler hätte sie zuhause
lassen können, der wurde nämlich hier auch hergestellt in einer petrochemischen Fabrik, war billiger, gelber und schmeckte sogar besser. Aber das Erstaunlichste war: die chinesischen Maden machten das nicht alles für sich selber, weil sie die Schweizer und ihre Sachen so toll fanden, wie die Made erst dachte, nein, das Zeugs wurde alles in die Schweiz geschickt und von den Schweizer Maden verwendet, gefressen oder an andere Schweizer Maden weiterverkauft. Sogar die Pendule von Urgrossvater sah sie dort neben tausenden von anderen, die genau gleich aussahen, nur in ganz und der Kuckuck mit Schlitzaugen. Einmal traf sie einen Riesen, der sich Alibaba nannte. Dieser war den ganzen Tag damit beschäftigt, Schiffs­ladungen voll gelber Ricola Bonbons, die tatsächlich aus der Schweiz hierher kamen wie sie, einzutüten und wieder in die Schweiz zurückzuschicken. Dort würden sie, so erzählte er, vom Postboten, der ebenso gelb sei wie er und die Bonbons, aufs Land gefahren, zu den Einfamilienhäusern, die sich hinter Gartenzäunen, Rollrasen und Plättliweg versteckt hielten und einen Briefkasten hätten, vor dem Zaun natürlich, der für diese Häuser sozusagen eine gwundrige Nasenspitze oder das Tor zur Welt sei. In diese Briefkästen würden die Tüten mit Ricola dann eingeworfen, zur grossen Freude der Kinder, die schon hinter dem Zaun lauerten. Jetzt wusste die Made auch, warum die Bonbons nicht nur nach Schweizer Alpenkräutern, sondern irgendwie auch nach grosser weiter Welt schmeckten.

Aber Alibaba wusste noch viel mehr. Er
wusste zum Beispiel auch, dass viele Sachen, welche die Schweizer für ihre ureigenen Erfindungen hielten und stolz auf sie waren, zum Beispiel Chemiefirmen, Uhren­unter­nehmen, das Jungfraujoch, Luxushotels, Löcher im Käse, in den Socken und den Bergen und wahrscheinlich auch all diese Einfamilienhäuser mitsamt Rollrasen längst in chinesischer Hand seien. Das gelte sogar für die Siggflasche, welche die Made bei sich habe, und die Rösti, welche sie auf dem Hinflug verzehrt habe. Während es nämlich den Schweizer Maden viel zu lange viel zu gut gegangen sei, so dass sie allesamt beim Teleboyschauen und Schokoladefressen dick, fett und faul geworden seien, hätten die kleinen hungrigen chinesischen Maden scharf nachgedacht, seien in die Schweiz aufgebrochen, hätten überall an den Einfamilienhäusern geklingelt und gegen billiges in Schokoladeneiern verstecktes Plastikspielzeug all diese tollen Sachen eingetauscht, wie damals Magellan Glasperlen gegen Gold getauscht habe. Und so sei es gekommen, dass die Schweiz nach und nach in die grosse weite Welt aufgebrochen sei, ohne dass sie es selber mitbekommen habe.

Eigentlich gar nicht so schlecht, so kann ich mich überall zuhause fühlen, dachte die kleine Made aus der Schweiz, frass sich in ein Stück Emmentaler hinein, kuschelte sich in ein jungfräuliches Loch und schlief friedlich ein.
Swiss Made

>bilder
>home >archiv