Ein Kater namens Sidi Brahim

Anbauschlacht Reloaded

Alle klagen ja immer darüber, dass der Zwischenhandel so gut daran verdient, dass er frische und günstige Ware so lange von Hand zu Hand gehen lässt, bis sie alt und teuer ist und dann endlich zum Kunden darf. Manch Bauer stört sich daran und schafft Abhilfe, indem er selber seine alte Ware zu Biohändlerpreisen im Hofladen anbietet, andere gehen noch einen Schritt weiter und machen sich nicht einmal mehr die Hände dreckig, sie lassen die Kunden direkt auf den Feldern selber ernten. Rund 70 Jahre nach der Anbauschlacht und dem deutschen Einmarsch in Polen steht wieder die ganze Nation selber statt der polnischen Erntehelfer auf dem Feld und erntet Erdbeeren, Blumen und Demeter-Kuhfladen. Das ist praktizierter Inländervorrang! Der Bauer sucht unterdessen seine Frau.

Aber auch der angefeindete Zwischenhandel lässt sich nicht lumpen und bietet längst nicht mehr einfach nur Waren feil, sondern ein gesamtheitliches Naturkreislauf-Erlebnis­paket: In der Migros spielen wir ja schon längst nicht nur den Einkäufer, sondern auch den Eintüter, das Kassenfräulein, den Maniac, den Samstagladenschluss-Halbpreis-Kompo­stierer sowie am Ende des Zahlvorgangs beim Self-Checkout den Lügendetektor und damit auch gleich den Ladenhüter. Damit wir trotz des klimatisierten Umfeldes authentisches Erntefeeling erleben dürfen, kommt das Gemüse nur halbgeerntet in den Laden: die
Tomaten hängen noch an den Rispen, der Salat an den Schnecken und den Knoblauch müssen wir aus der Aktionssockenwühlkiste ausgraben. Auch die Knutschflecke auf den Pfirsichen dürfen wir selber applizieren. Das soll Frische vermitteln. Demnächst werden wir den Hühnern die Eier und die Batterien aus dem Hintern klauben, bevor wir sie in der Rupftrommel (neben der Kaffeemühle) ofenfertig machen, während der Geschäfts­führer auf der Käseharfe «ds Goldvreneli ab em Guggisberg» spielt, die Lageristen jodeln und tote Fliegen auf die unreifen Melonen kleben und das unter­beschäftigte Kassen­fräulein die Geranien-Auslage zum Selberpflücken im Dirndl neu drapiert. Der Samstagseinkauf ersetzt uns Alpsommer, Dschungelcamp und Europapark zugleich.

«Die Post öffnet wann ich will» konnte ich letzthin auf einem Plakat lesen. Wie praktisch. Und auch sinnvoll: In der guten alten DDR wurde einem ja alles abgenommen: Die Zustellung, das Verlieren und eben auch das Öffnen und das Lesen der Post. Hier und heute hingegen sind wir mündiger und müssen all dies selber machen. Da möchte man ja wenigstens selber bestimmen, wann das geschehen soll. Der nächste Briefkasten steht in Freiburg im Breisgau, und ich komme da nicht jeden Tag vorbei. Auch Einzahlungen machen wir ja schon lange selber. Die letzten, die noch mit dem gelben Büchlein im Dorf herumirrten und vergeblich einen Schalter suchten, sind schon längst mit dem gelben Wägelchen abgeholt worden. Kein Wunder ist das E-Finance-Portal der Post so beliebt, dass der Zugriff immer wieder streng rationiert
werden muss. Aber man muss fairerweise erwähnen, dass die Post uns auch Arbeit abnimmt: Die Briefmarken kleben ja jetzt auch ohne dass wir sie ablecken müssen1, und bei der Steuererklärung müssen wir die Zinsen vom Postcheckkonto nicht mehr deklarieren.

Wegen der fehlenden Zinserträge und weil ich beobachtet habe, dass trotz der lobenswerten ökologisch-ganzheitlichen Ansätze im Handelswesen das vormals so verbreitete Bargeld fast unbeachtet auszusterben droht, habe ich auch im pekuniären Bereich auf Selbstversorgung umgestellt. Ich liebe es, im feuchten Torfboden nach Bitcoins zu schürfen und die duftende Ernte von frischen Blüten einzufahren2. Traugott Wahlen und Joseph-Samuel Farinet hatten beide recht. Auch der kürzlich verstorbene Polo Hofer: Wenn ich schon ein Kiosk bin, will ich auch eine Bank sein.
Friedrich Traugott Farinet

1Aufgrund einer Weisung des BAG. In Zeiten von Ebola, Aids und Sodomie muss die Volkshygiene wieder besser geschützt werden.
2Die neuen Zwanziger sind ziemlich anspruchsvoll und vermehren sich noch nicht wunschgemäss. Wenn mir da jemand einen Tipp geben kann, bin ich froh. Dafür verrate ich gerne, dass die Tausender offensichtlich Feuchtstandorte bevorzugen und häufiges Wässern lieben.


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