Ein Kater namens Sidi Brahim

Apfelvoodoo

Ein entfernter Bekannter von mir hat vor rund zwanzig Jahren in aller Öffentlichkeit in lauten Selbstgesprächen mit bekannten Bankdirek­toren, Bundesräten und Bombenlegern gestritten. Man bezeichnete ihn deswegen als wahnsinnig und hat ihn in die Psychiatrie zwangsversorgt. Ein anderer lief tagelang immer mit demselben Steiff-Bären in der Hand durch die Landschaft, den Blick starr auf ihn gerichtet und ihm den Bauch streichelnd, bis er mit Verdacht auf Voodoo in derselben Psychiatrie gelandet ist. Der dritte schliesslich wurde mit einem FFE kassiert, weil er auch bei schönstem Sonnenschein mit ausgestrecktem Arm einen Regenschirm vor sich hertrug und wahlweise behauptete, er sei Albino, Japaner oder Napoleon.

Heute sind alle drei wieder frei. Alle haben zwar ihre bizarren Gewohnheiten nicht aufge­geben, gelten trotzdem aber als geheilt und unauffällig. Warum? Ganz einfach: Die ersten beiden haben sich gut sichtbar Tampons in die Ohren gesteckt, um von dieser verrückten Welt noch weniger mitzukriegen, und gerade das macht sie wieder gesellschaftsfähig. Wenn sich der erste dann noch ein weisses Hemd anzieht und eine Krawatte dazu (auch egal, wenn diese mit einem Doppelachter gebunden ist und hinten runterhängt), dann halten ihn alle für einen Topmanager auf Draht, der zweite geht mit den Tampons und seinem Teddy auch ohne weitere Verkleidung einfach als Smombie durch. Beide sind nur echt mit Knopf im Ohr. Angepasst dank Headset und Smartphone1. Bluetooth statt Voodoo. Der dritte hat ganz einfach den Regenschirm durch einen Selfiestick und einen Sonnen­brand ersetzt. Dass er vorne einfach einen Zwieback eingeklemmt hat, fällt niemandem auf, da ja eh alle anderen auch auf ihren Zwieback gucken.

1Abgekürzt ADHS
Ja, diese Smombies. So eine Smombiene ist mir vor kurzem auf dem Aareweg begegnet, als ich vom Schwimmen zurückkehrte. Sie lief in die gleiche Richtung wie ich, wobei Laufen für das Tempo eigentlich der falsche Ausdruck ist, eine Schnecke auf Krücken und mit eingegipster Schleimhaut wäre schneller gewesen. Sie war dermassen auf ihrem Eiföhn2 am Rumleiken3, dass sie nichts um sich herum bemerkte. Weder, dass ich sie gerne überholen wollte - ich habe es dann doch noch geschafft mittels Ausweichen auf den Hundekotnistplatz neben dem Weg - noch dass es zu regnen angefangen hatte und direkt neben ihr ein Biber aus der Aare gestiegen war und einen umgefallenen Baum traktierte. Ich habe sie dann zwei Stunden später immer noch an der nahezu selben Stelle gesehen, mit triefendnassen Kleidern, das Gesicht gesenkt und blassbläulich schimmernd in der fortgeschrittenen Abenddämmerung, neben ihr eine stattliche Biberburg. Als dann plötzlich der bläuliche Schimmer flackerte und dann ganz erlosch, blickte sie auf und rief: «Jö, ein Biber!4».

Eine Mutation der stark im Vormarsch begriffenen Neophytenart Smombie, welche nach neusten anthropologischen Unter­suchungen aus einer fruchtbaren Ehe zwischen einem Marsmenschen mit Sauer­stoffmangel und Flachbildstirn sowie einem Wischmopp entstanden sein soll, besiedelt schon seit längerem unseren Frühstückstisch: Der Zmombie, eine Kreuzung zwischen Zmorge und Zombie. Dumpf vor sich her kauende stieläugige Gestalten, deren maximale Bewegung darin besteht, gelegent­lich mal eine lästige Fliege zu verscheuchen und im Kaffee zu rühren. Auf einer Alpweide

2Ein Schreibfehler. Das hat weder mit Hühnern noch mit Dauerwellen zu tun. Sondern mit zwitschernden Was-Affen und Fratzenbüchern.
3Like, engl. Für Leck mich
4Kein Schreibfehler, sondern eine kritische Edition des tatsächlichen Ausrufs. Biber schreibt man wirklich ohne e! Just ein i zwischen den beiden b.
im Lötschental ein kunstvoll drapiertes Postkartenmotiv, zuhause einfach einer höheren uhrzeit­bedingten Verbal­ökonomie geschuldet, aber etwa gleich methanhaltig. Gelegentlich fallen zwar ornamentale Sätze wie «Wenn es dir nichts ausmacht, Schatzi, könntest du mir mal bitte die Butter rüberreichen? Aber wirklich bitte erst, wenn du die Tasse abgestellt und dein Schnittchen fertig genossen hast, ich will dich schliesslich nicht stressen und dir den Morgen versauen.», aber natürlich auf Berndeutsch übersetzt, also: «Hhhummm». Ohne Komma.

Von aussen täuscht der Anblick. Das hat nichts mit schlechter Laune zu tun oder mit saurer Milch im Kaffee oder noch nicht fertig verscheuchten Alpträumen oder damit, dass man aus dem weichen Bett ins harte Leben geworfen wurde. Auch ist, wer berndeutsch spricht, weiterhin nicht berechtigt, eine Invalidenrente zu beziehen. Nein, dahinter steckt einfach eine entspannte, noch ablenkungsfreie Montagsmorgenmüdigkeit. Niemand muss schon die ersten E-Mails checken oder Börsenkurse kontrollieren. Niemand stört das Frühstücksei beim Wabbeln wie es der GAU5 jeden Morgen durch sein penetrantes Zwitschern und Gackern tut. Und schon gar nicht muss Facebook oder, noch schlimmer, man sich selber mit eingefrorener Kaubewegung, halb heruntergefallenen Augendeckeln und marmeladeverschmiertem Mund ansehen. Das darf die gegenüber sitzende Community erledigen. Ein klarer Fall für FFE6

Mark Honigtopf

5Grösster Amerikanischer Unfall
6Friede Freude Eierkuchen oder Friends For Erdbeermarmelade


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